Samstag, 19. Dezember 2009
Das Pogrom von Lichtenhagen
Wer älter ist als ,sagen wir, 25 Jahre, wird sich an dieses Bild, das im August 1992 um die Welt ging erinnern. Harald Ewert steht vor dem Sonnenblumenhaus, der Nummer 19 der Mecklenburger Allee im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen, bekleidet mit einem Trikot der deutschen Nationalmannschaft aus dem Jahr 1990 und einer urinbefleckten Stoffhose, den Arm zum Hitlergruß erhoben. Die Geschichte dieses Fotos ist zugleich die Geschichte des massivsten ausländerfeindlichen Gewaltszenarios der Nachkriegsgeschichte.
Das Sonnenblumenhaus ist kein gewöhnliches Wohnhaus und es hat auch keine gewöhnlichen Bewohner. Dort befindet sich die Zentrale Aufnahmstelle für Asylbewerber Mecklenburg- Vorpommerns ( ZAst). Vor allem Roma und Sinti lebten dort unter menschenunwürdigen Umständen: ohne ausreichende Sanitäranlagen und Betreuung. Der Personalmangel führte auch dazu, dass ankommende Asylsuchende oft gezwungen waren tagelang vor dem ZAst zu kampieren, bis sie endlich zur Aufnahmeprozedur vordringen können. Auch in den letzten Augustwochen des Jahres 1992 warteten etwa 400 Flüchtlinge in den Grünanlagen des Gebäudes auf Unterbringung.. Anwohner beschwerten sich über mangelnde Hygiene, Verletzung der Menschenrechte und Belästigung durch die Wartenden- Behörden ignorierten dies. Es kam wiederholt zu Übergriffen auf Bewohner der ZAst und am 22. August 1992 versammelten sich erstmals deutsche Jugendliche in der Mecklenburger Allee und bewarfen die Asylbewerber mit Steinen. Die Polizei griff ein und konnte die Situation vorerst beruhigen, jedoch nicht verhindern, dass sich während der darauf folgenden Tage und Nächte immer mehr Jugendliche vor dem Sonnenblumenhaus versammelten und es zu weiteren Auseinandersetzungen kam. Hinzu kommt, dass immer mehr Passanten die jungen Faschisten unterstützten, sei es durch die Unterlassung von Maßnahmen oder durch die Skandierung von ausländerfeindlichen Parolen.Zeitweise versammelten sich 2000 applaudierende Schaulustige vor der Mecklenburger Alle Nummer 19.
Am Morgen des 24. August 1992 handelten die Behörden und evakuierten das Asylbewerberheim, doch dabei unterlief den Zuständigen im Rathaus ein entscheidender Fehler: in einem angrenzenden Gebäude, der Nummer 18, befanden sich zu diesem Zeitpunkt 115 Vietnamesen, überwiegend Vertragsarbeiter aus der DDR. Das Rathaus behauptete im Nachhinein, Informationen erhalten zu haben, wonach in den angrenzenden Gebäuden nur Deutsche lebten. Dem widerspricht, dass eine Betreuerin des ZAst gleichzeitig mit dem Evakuierungsbeischeid die Anweisung erhielt, die Anwohner der Nummer 18 sollten Gardinen geschlossen halten und das Licht löschen um den Eindruck zu erwecken, das Gebäude sei leer und somit Angriffe zu vermeiden. Jugendliche aus der antifaschistischen Bewegung, die versuchten die Häuser und ihre Bewohner zu schützen, wurden am Abend zuvor festgenommen. In der Nacht vom 23. auf den 24. August wurden laut Polizeiangaben 130 Randalierer festgenommen- mindestens 90 waren Antifaschisten! Auf diesen Sachverhalt angesprochen begründete man die verhältnismäßig wenigen Festnahmen in der rechten Szene damit, dass keine akute Gefahr für Anwohner, Polizei oder unsere Verfassung bestand. Die Antifa schien die Situation besser zu überschauen als die Staatsgewalt. Ein Sprecher der Antifaschistischen Aktion äußerte, dass die Polizeikräfte überfordert wären und nach der Abführung aller Gegendemonstranten mit dem Schlimmsten zu rechnen sei.
Und genau das sollte eintreten. Am Abend des 24. August warfen die Faschisten Molotowcocktails in das Gebäude und stürmten den Eingangsbereich, wo sie eine Benzinspur legten und diese entzündeten. Über 100 Menschen waren eingeschlossen, während sich die Flammen Stockwerk für Stockwerk ihren Weg bahnten. Durchgänge zu den benachbarten Gebäuden wurden von deren Bewohnern verschlossen, aus Angst, man könnte durch die vietnamesischen Bewohner belästigt werden. Und auch die Dachluke war aus unerfindlichen Gründen verriegelt. Nicht bekannt war damals, dass zu den Eingeschlossenen auch ein Fernsehteam des ZDF gehört, das die Angriffe dokumentiert.
Die Feuerwehr konnte nicht löschen, da die Gewaltbereitschaft der Randalierer sie daran hinderte. Die Polizei hatte die Kontrolle verloren, konnte nicht eingreifen, da sie verfrüht Kräfte abgezogen hat und nun zahlenmäßig unterlegen war.
Erst in der nächsten Nacht konnte die Situation unter Kontrolle gebracht werden. Die Eingeschlossenen konnten sich nach einem stundenlangen Kampf über das Dach befreien und wurden mit Bussen in eine Notunterkunft gebracht; die Gebäude wurden gelöscht und saniert.
Den Anwohnern der angrenzenden Häuser wurde als Entschädigung für einen Monat die Miete erlassen, die vietnamesischen Bürger jedoch, die in den 80er Jahren in einem so genannten ,,Unrechtsstaat“ gleichberechtigt lebten, gebraucht wurden, erhielten keinerlei Ausgleich für das Erlebte, sondern ihnen droht nun die Abschiebung aus dem Rechtsstaat BRD.
Nur wenige Faschisten wurden strafrechtlich verfolgt und wenn überhaupt, dann wurden sie zu symbolischen Strafen verurteilt.
In Rostock kam es zu einer großen Demonstration unter dem Motto ,,Bunt statt Braun“ und ein gleichnamiges Bündnis antifaschistischer Kräfte wurde gegründet, um derartige Vorkommnisse in Zukunft zu vermeiden.
Die Reaktionen auf das Pogrom von Lichtenhagen in Politik und Medien waren weltweit enorm.
Was bleibt sind Fragen. Wie konnte es passieren, dass keine 3 Jahre nach der Vereinnahmung der DDR durch das kapitalistische Ausland der Geist des Antifaschismus gänzlich erloschen zu sein scheint? Und, war das Pogrom sogar eine gezielte Entladung des Volkszorns, geplant durch reaktionäre Kräfte?
Und Harald Ewert? Er scheute die Konfrontation mit den Medien nicht und bestand vehement darauf, dass die Flecken auf seiner Hose von einer verkippten Bierdose stammten. 2007 ist Harald Ewert in derselben Wohnung gestorben, in der er auch 1992 schon lebte und nichts dort erinnert noch an ihn.
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sehr aufrüttelnder text! weiter so genossin!
AntwortenLöschen"ihrem feind folgen sie wenn sie blind sind, aber euch folgen sie, wenn sie sehen!" (oktoberklub)